Michaela Schüssler gehört zum Kreis der Kirchenöffner*innen, die seit 2001 dienstags bis samstags regelmäßig die Friedenskirche für Besucher*innen öffnen. Sie berichtet uns aus ihrer Arbeit:
Eine Kirche mit festen Öffnungszeiten ist eine sehr gute Einrichtung. Sie gibt Menschen die Möglichkeit, eine Weile Hektik, Lärm und Stress zu entfliehen, Ruhe zu finden, die Gedanken schweifen zu lassen, zu beten oder auch eine Kerze zur Fürbitte anzuzünden. Viele sind auch an der Architektur, Gestaltung und den Bildern von Stahlmann interessiert.
Junge Mütter kommen gerne mit ihren kleinen Kindern, manche werden noch im Kinderwagen geschoben, einige können selbst laufen und erkunden interessiert und neugierig den Kirchenraum. Besonders beliebt ist das Anzünden einer Kerze auf dem Arm und mit Hilfe der Mutter.
Manchmal kommen Besucher, die eine besondere Beziehung zur Friedenskirche haben. Sie selbst oder Angehörige wurden hier getauft, konfirmiert oder getraut und nun schauen sie sich interessiert um, machen Fotos vom neugestalteten Kirchenraum und fragen nach Namen von Pfarrern.
Auch diejenigen, die die Aufsicht übernehmen, profitieren. Sie genießen ebenso die Ruhe – aber auch die Begegnung und manchmal das Gespräch mit den Besuchern. Manchmal kommen sie sogar in den Genuss eines kostenlosen Orgelkonzertes, denn auch erfahrene Organisten müssen üben.
An den heißen Tagen des Sommers nutzen etliche erschöpfte und hitzegeplagte Menschen den wohltemperierten Kirchenraum zur Abkühlung und Erholung.
Es gibt auch ganz besondere Erlebnisse. Zum Beispiel die Dame, die mit wunderschöner Stimme ein gregorianisches Lied sang und für Gänsehaut sorgte.
Oder die Gruppe von Erstsemestern, die auf einer Stadtrallye Kassel kennenlernen sollten. In der Friedenskirche schauten sie sich interessiert um und jeder fotografierte sich dann vor dem großen Abendmahlsbild – als Beweis, dass sie dort waren.
Einmal kam sogar eine kleine Hochzeitsgesellschaft. Die Braut in Weiß mit einem Blumenkranz im Haar, ihre Lebensgefährtin im schwarzen Hosenanzug und einige festlich gekleidete Damen und Herren. Das Paar ging zum Altarraum, verweilte dort im Gebet und dann zündeten beide Kerzen an. Nach und nach kamen auch die anderen Festteilnehmer dazu, gratulierten und zündeten ebenfalls Kerzen an.
Dann war da noch ein mehr oder weniger regelmäßiger Besucher der ganz besonderen Art. Ein Obdachloser, der im Stadtteil wohnte, in der Friedenskirche getauft und konfirmiert wurde und sie immer wieder aufsuchte. Er besuchte seinen Kumpel und Freund Jesus. Nie versäumte er es, die sechs Altarkerzen für ihn anzuzünden. Ein Hocker wäre ihm allerdings lieber, dann bräuchte er sich nicht so zu recken. Dann machte er es sich bequem, blieb auch gerne etwas länger, nur die Zigarette muss er sich leider verkneifen. Inzwischen haben wir erfahren, dass der Obdachlose kürzlich gestorben ist und ruht nun – so hoffen und glauben wir – in den bergenden Händen seines „guten Kumpels“.
Die offene Kirche – ein Raum für viele Bedürfnisse.