Der Innenraum der Friedenskirche ist durch großformatige Kunstwerke mit leuchtenden Acrylfarben geprägt. Für Martin Luther stellt das Zeigen von Bildern im Kirchraum keinen Widerspruch zur Lehre dar. Andere Reformatoren (Calvin, Zwingli und Melanchthon) hatten zum Bildersturm aufgerufen und Kunstwerke aus den Kirchen entfernt. An den Bildern in der Friedenskirche lässt sich somit die lutherische Tradition der Gemeinde erkennen. Andere Kasseler Kirchen sind schlichter gehalten.
Die Gemälde stammen von Dietrich Stalmann:
– Das Abendmahl (1998); Acryl-Mischtechnik auf Schwarz-Weiß-Fotographie, 800 x 300 cm: rechts vom Altar
– Himmlischer Christus (1998); Malerei gegen das Vergessen, 310 x 210 cm: links vom Altar
– Zwei Engel in zwei Nischen im hinteren Bereich der Kirche (2001); Acryl-Mischtechnik auf Fotographie, 215 x 109 cm
Die beiden großen Gemälde „Himmlischer Christus“ und „Das Abendmahl“ im Zentrum der Kirche vollenden den Raumeindruck. Stalmann gebraucht bei seinen Bildern Schwarz-Weiß-Fotografien, die er mit Acrylfarben übermalt. Die intensive Farbigkeit der Gemälde zieht das Auge unmittelbar an. Nach einer anfänglichen Erregung durch die Gewalt der Farben verschmilzt der Blick nach längerem Betrachten in dem Lichtmeer; dann strahlen die Bilder Ruhe aus. Gegenständliches kommt zum Vorschein, der Untergrund der Schwarz-Weiß-Fotografie.
Dem Gemälde in Altarnähe liegt die Fotografie eines gotischen Christuskopfes aus der Sebaldus-Kirche (St. Sebald) in Nürnberg zugrunde, dem monumentalen Gemälde an der Seitenwand Leonardo da Vincis weltberühmtes „Letztes Abendmahl“ (1495-1498) im Speisesaal des Dominikanerklosters Santa Maria delle Grazie in Mailand. Die abstrakten Farbspiele wollen das darunter liegende Thema weder illustrieren noch dekorieren, sie schaffen es vielmehr noch einmal neu. Sie verdecken den Gegenstand der Fotografie, ohne das aber wirklich zu tun. Die Farben durchscheinen die Fotografie und erheben die Abbildung in eine neue Dimension der Fiktion. Alte Kunst und moderne abstrakte Malerei durchdringen sich und steigern sich gegenseitig zu einer Hymne, die uns nicht loslässt und uns in eine geheimnisvolle Aura führt.
Das Angesicht des Christuskopfes wird durchschienen von einem Kosmos aus Licht. Die nach oben strebenden Farben entheben den Kopf seiner Erdenschwere und verleihen ihm seine majestätische Gestalt. Im Spektrum des Regenbogens tritt der Kosmische hervor, der Himmel und Erde umspannt und in allen Dingen webt und lebt. Beim Anschauen werden wir selbst zu Angeschauten wie bei Ikonen. Wir werden von der Ewigkeit angeschaut. Der himmelblaue Bogen verbindet den Christuskopf mit der goldenen Altarwand, die ursprünglich einer Ikonostase nachempfunden war.
Auch im Abendmahlsbild erlauben uns die Farben, vom Foto des Originals Abstand zu halten. Gleichzeitig bringen die Farben Neues, Ungesehenes hervor. Sie laden uns ein, in jene Abschiedsszene tiefer hineinzuschauen, in der allzu Menschliches wie Schuld und Verrat gegenwärtig sind.
Die moderne „Malerei gegen das Vergessen“ erhebt das alte Bild, über die Jahrhunderte unzählige Male kopiert und „tot-gesehen“, zu neuer Lebendigkeit. Im Abendmahlsbild dominieren die Farben Rot und Blau. Zusammen mit dem Gold stellen sie die Farben der Trinität dar. Das Blau, hinter dem die Gesten und Gesichter der Teilnehmer des letzten Abendmahls erscheinen, wirkt nach innen und zeugt von Sehnsucht, Tiefe und Weite, von der Entgrenzung in der wunderbaren Vereinigung im Abendmahl. Der sich den Menschen hingebende Christus begegnet in einem leuchtenden Rot, das an loderndes Feuer, an Leidenschaft, Erleuchtung und Liebe denken lässt und das aktivierend auf den Betrachter zukommt. Mit dem Farbspiel des Lichts lässt uns Dietrich Stalmann innehalten vor dem Ewigen, einem unerklärbaren Geheimnis, über das wir wieder staunen können.
Für die Wandnischen im Eingangsbereich der Kirche hat Dietrich Stalmann Engelbildern geschaffen. Die zugrunde liegenden Schwarz-Weiß-Fotos sind Abbildungen einer aus Frankreich stammenden frühmittelalterlichen Reliquientruhe aus Elfenbein.
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