Bischof Hein: Geschäft mit Krieg blüht weiter in Kassel

Auch 75 Jahre nach der Zerstörung Kassels durch einen Bombenangriff blüht in Kassel das Geschäft mit dem Krieg und den Waffen. Darauf wies am 22. Oktober in einem ökumenischen Gottesdienst in der voll besetzten Martinskirche der Bischof der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck, Martin Hein, hin.

Die alte Osanna-Glocke der Martinskirche, 1818 von den Henschel-Werken in Kassel aus der alten Glocke neu gegossen und im zweiten Weltkrieg zerstört, trägt auf der einen Seite einen Auszug aus Friedrich Schillers „Das Lied von der Glocke“, auf der anderen Seite eine Darstellung Jesu am Kreuz – Im Zuge einer Komplett-Restaurierung der Martinskirche in Kassel wurde auch die Chorkirche komplett eingerüstet und restauriert.

Am 22. Oktober 1943 sei Kassel ein Ziel der britischen Angriffe gewesen, weil es dort eine erhebliche Rüstungsproduktion gegeben habe. „In dieser Tradition stehen wir bis heute! Und es ist für mich eine Frage politischer Moral, dass wir uns das in aller Ehrlichkeit bewusstmachen“, sagte Hein unter Hinweis auf die Kasseler Rüstungsindustrie.
Mit dem Angriff, der damals um 20.44 Uhr begann und die fast die gesamte Innenstadt zerstörte, sei der Krieg, den Deutschland in die Welt gebracht hatte, zurückgekommen, sagte Hein. „Trotz allen Aufschwungs während der vergangenen Jahrzehnte: Kassel ist eine versehrte Stadt. Und niemand, der hierher kommt, kann der deutschen Unheilsgeschichte seit 1933 ausweichen“, sagte Hein. Der Beginn des Zweiten Weltkrieges sei kein Schicksal gewesen, sondern ein planvoller Akt der Aggression. Abgesehen von Wenigen hätten auch die Kirchen damals ihre Ohren verschlossen gegenüber der klaren Weisung des Wortes Gottes.
Der Beitrag der christlichen Kirchen zum Frieden heute bestehe darin, zunächst selbst die Ohren zu öffnen für die Botschaft Gottes vom Frieden und von der Gerechtigkeit in der Welt, sagte Hein. „Und dann ist es unser gemeinsamer Auftrag, die Ohren anderer für Gottes Weisung öffnen zu helfen, damit sie sich nicht länger die Ohren volltönen lassen von all den Hate Speeches, die inzwischen wieder salonfähig sind“, erklärte er.
Zu Beginn des Gottesdienstes hatte der Kasseler Oberbürgermeister Christian Geselle (SPD) darauf hingewiesen, dass durch den Angriff die in über einem Jahrtausend entstandene Kasseler Altstadt ausgelöscht worden sei. Auch die Martinskirche sei schwer beschädigt worden, die große Osanna-Glocke sei heruntergestürzt. Die beschädigte alte Glocke, die heute in der Martinskirche steht, sei ein Symbol des Überlebenswillens der Menschen.
Nach dem Gottesdienst begannen eine 1961 neu gegossene Osanna-Glocke der Kirche, die nur zu wenigen Anlässen erklingt, sowie die Glocken aller anderen Kirchen im Kasseler Stadtgebiet zum Gedenken an den Angriff zu läuten. Wegen eines Motorschadens musste die Osanna-Glocke allerdings von Hand betätigt werden, wie Martinskirchenpfarrer Willi Temme kurz vor Beginn des Geläuts bekanntgab. (epd/23.10.18)